Gedenkveranstaltung anlässlich der Zerstörung Paderborns am 27.03.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der historische Kern der Stadt Paderborn durch mehrere Bombenangriffe der alliierten Luftstreitkräfte weitestgehend zerstört. Insgesamt verloren fast 900 Menschen durch Bombenangriffe auf Paderborn ihr Leben. Der verheerendste dieser Angriffe begann am 27. März 1945 um 17.30 Uhr, zu diesem Zeitpunkt findet bis heute jedes Jahr am Mahnmal Busdorfwall eine Gedenkveranstaltung statt.

Die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Geschichte der Q1 am Theodorianum unter der Leitung ihres Lehrers Herrn Dr. Böttcher haben in diesem Jahr die offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt Paderborn mitgestaltet. Unterstützt wurden sie dabei von den Turmbläsern der Schule mit ihrem Dirigenten Herrn Dr. Liebrand.

77 Jahre nach Kriegsende war das Gedenken in diesem Jahr 2022 in zweifacher Hinsicht sicherlich besonders bedeutsam. Zum einen musste die Gedenkveranstaltung in den letzten zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie ohne Publikum stattfinden und zum anderen stand das Gedenken an die schweren Bombenangriffe auf unsere Stadt während des Zweiten Weltkriegs in diesem Jahr ganz unter dem Eindruck des am 24.02.2022 auf Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin begonnenen Angriffs auf die Ukraine, der dem Gedenken an Zerstörung und Leid eine traurige Aktualität gab.

Aus diesem Grund haben die Schülerinnen und Schüler des LKs Geschichte sich dazu entschieden, nicht nur Zeitzeugen der Zerstörung Paderborns 1945 in ihren Beiträgen zu Wort kommen zu lassen und an die Zerstörung ihrer Schule – unseres Theodorianums – und mehr als 250 Theodorianer – Ehemalige, Schüler und Lehrer –, die während des Zweiten Weltkrieges fielen, zu erinnern, sondern eben auch die Ungeheuerlichkeit der jetzt vor unseren Augen begangenen Kriegsverbrechen klar zu benennen.

Der Geschichtsleistungskurs konnte auf diese Weise die Erkenntnisse der Geschichte von Kriegserfahrung, Leiden, Verlusten, Flucht und Vertreibung behutsam auf die Gegenwart beziehen und die Zuhörerinnen und Zuhörer dadurch wenigstens erahnen lassen, was die Menschen in einem unserer europäischen Nachbarländer momentan erleiden müssen. Dabei wurde auch allen deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte (wieder einmal) nötiger denn je ist.

Auch der anwesende Bürgermeister der Stadt, Michael Dreier, zeigte sich beeindruckt von der tiefgründigen Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit diesem dunklen Tag der Geschichte der Stadt Paderborn und betonte, wie wichtig es insbesondere für diese junge Generation sei, einen Beitrag gegen das Vergessen zu leisten, da es nur noch wenige Zeitzeugen gebe.

P. Hüttenbrink
 


 
Auszug aus der Rede Dr. Bernhard Böttchers:

„Das Gedenken mit Schülern am 27.3. hier am Denkmal ist eine gute Tradition. Es ist eine wichtige und symbolische Geste – die Weitergabe der Erinnerung über die Zeitzeugengeneration hinaus. Es ist der Beweis, dass das Leben weitergeht – und zugleich ein ungeheurer Lerneffekt für die jungen Menschen: Sie setzen sich intensiv mit den Ereignissen um 1945 auseinander, bedenken und bewerten die Folgen, versetzen sich voll Empathie in die Zeitgenossen, wechseln die Perspektiven, übertragen ihr Urteil bis in die Gegenwart und setzen dies bei der jährlichen Veranstaltung immer aufs Neue um und in Szene. Die Schüler werden durch das Mitmachen und Gestalten selbst Teil der Erinnerungskultur und lernen Verantwortung für die Weitergabe des kulturellen Gedächtnisses. Historisches Lernen auf beste Art und Weise.

Vor allem dann, wenn Jugendliche von heute die Jugendlichen von 1945 betrachten: die, um den schwedischen Journalisten von 1946, Stig Dagerman, zu zitieren, mehrfach Verführten, die verlorene und bedauernswerte Generation, die mit 16/17 Jahren die Welt erobert und mit 19/20 alles verloren hatte.

Allerdings: In all den Jahren ist eine Ritualisierung eingekehrt: die beschriebene Art des Gedenkens wurde „üblich“, an-erkannt und gelobt. Die Gedenkfeiern erfolgten lehrbuchhaft und korrekt. Nachdem die Kränze niedergelegt, die Musik und Glockengeläut verklungen, Worte gewechselt, Hände geschüttelt, konnte man nach Hause und seiner Wege gehen.


Aber: Dieses Jahr ist völlig anders und zweifach bedeutsam:

  1. Dies ist die erste Gedenkveranstaltung seit Corona-Ausbruch: 2020 und 21 erfolgte das Gedenken gewissermaßen im luftleeren Raum, ohne Schauspieler, Chor und Publikum: Es war eine Kulisse ohne Akteure, stumm, verwaist, fast gespenstisch, so bekümmernd wie die leeren Schulen. Das machte ganz klar und deutlich, dass der beschriebene performative Akt unersetzlich ist.

  2. Und nun der Krieg in der Ukraine: Der Krieg ist ein grausamer Lehrmeister, und den Stundenplan bestimmt allein er. Wer, wie wir Deutschen, in den vergangenen Jahrzehnten Krieg nur als Erzählung aus ferner Vergangenheit wahrnehmen durfte, der erlebt nun eine Reihe von Lektionen, vor denen er gerne Augen und Ohr verschlossen hätte.

Die Ungeheuerlichkeit der jetzt vor unseren Augen begangenen Kriegsverbrechen erlaubt es fast nicht mehr, in der üblichen Erinnerungskultur und Gedenkarbeit zu verharren, die Ersatz für die Auseinandersetzung mit der Gegenwart geworden zu sein scheinen. Wir können kaum glaubwürdig der Opfer gedenken, hier in Paderborn sowie der deutschen Besatzer in Kiew und Odessa vor 1945, und zu den jetzigen Opfern dort schweigen. Die Sympathie und Hilfsbereitschaft für die leidenden Opfer des Krieges überrollt die gewohnten Formen der Erinnerung und hilft zugleich, immun zu werden gegen Manipulationen und Propaganda, die unsere Schuldgefühle ausschlachten. Wir lernen, Dinge beim Namen zu nennen und Missbrauch entgegenzutreten. Die Erkenntnisse der Geschichte von Kriegserfahrung, Leiden, Verlusten, Flucht und Vertreibung lassen uns wenigstens erahnen, was die Menschen im Nachbarland erleiden. Auseinandersetzung mit Geschichte ist nötiger denn je.

Was können wir nun hier und jetzt tun? Wir können diesen Ort und diese Stunde nutzen, um Gedanken und Worten Raum zu geben und zuzuhören.“